Seit ich denken kann, begleiten Tiere mich auf meinem Lebensweg. Schon als Kind hatten wir immer Hunde, Katzen und auch Vögel bei uns zuhause. Seit fünfzehn Jahren sind an meiner Seite Saarloos Wolfhunde, inzwischen lebt auch die zweite Generation bei mir. Begonnen hat alles mit Aaron, der leider nur elf Jahre alt werden durfte. Gestorben ist er an einem Milztumor. Damals hatte er mit Kira, seiner Gefährtin, eine ganz wunderbare Beziehung geführt. Die beiden waren ihr Leben lang unzertrennlich. Als Aaron starb, brach für Kira eine Welt zusammen. Sie wollte hörte nicht auf, nach ihrem Partner zu suchen, aß kaum noch etwas und weigerte sich, bei Waldspaziergängen das Auto zu verlassen. Die Trauer um ihren geliebten Aaron fraß sie förmlich auf. Irgendetwas musste ich unternehmen. Mir war klar, dass sie einen neuen Gefährten brauchte. Jemanden, der sie ablenken konnte von ihrem unerträglichen Schmerz und vielleicht sogar eine ganz neue Freude ins Leben bringen.
„Da Saarloos Wolfhunde oftmals sehr scheu gegenüber fremden Menschen sind, hielt er sich von anderen Personen fern.“
Eines Tages kam ein Anruf aus der Nähe aus Bremen. Ein Wolfhund war in einem Tierheim dort untergebracht. Er heißt Carlos und hatte bei einem älteren Ehepaar gewohnt. Der Mann war vor einigen Monaten gestorben, die Frau hatte seit dem nur noch für Carlos gelebt. Doch er war gerade im Entdecker-Alter und bei einem Spaziergang auf einer Jagd abhanden gekommen. Da Saarloos Wolfhunde oftmals sehr scheu gegenüber fremden Menschen sind, hielt er sich von anderen Personen fern. Am Abend jedoch wurde die Frau angerufen. Carlos befand sich in einem Grundstück an einer Bundesstraße. Sie sollte schnell kommen und versuchen, ihn einzufangen, damit er das Grundstück nicht wieder verlassen konnte. Sofort fuhr die Dame dorthin, stellte ihr Auto auf der gegenüberliegenden Straßenseite ab und lief voller Freude und Erleichterung auf ihren Carlos zu. Doch sah sie dabei nicht den LKW, der aufgrund der schlechten Wetterbedingungen, es war Winter, nicht mehr bremsen konnte… sie war sofort tot. Carlos wurde nun von der Feuerwehr eingefangen und in das Tierheim gebracht. Er war extrem verstört. Mir war klar, dass ich ihm helfen musste. Und vielleicht würde das auch für Kira bedeuten, dass wir alle von vorne beginnen könnten. Ich nahm meine Kleine und fuhr nach Bremen. Und tatsächlich – Carlos suchte auf der Stelle Kontakt zu Kira. Sie freute sich ein wenig über den freundlichen neuen Rüden und ging zurück zum Auto. Carlos folgte ihr vorsichtig und orientierte sich fortan an ihr. Ich selbst durfte ihn in den ersten Tagen nicht berühren, aber dank Kira kam er abends sogar mit ins Haus. Die Wochen zogen ins Land, beide lagen oft nebeneinander, doch eine wirklich große Liebe gibt es nur einmal im Leben. So auch bei Kira. Nach acht Wochen nahm sie im Brustbereich zu. Rasch ging ich mit ihr zum Tierarzt. Er röntge sie. Die Diagnose: ein Tumor am Herz. Sie habe vielleicht noch zwei Monate zu leben. Schon nach drei Wochen war ihre Kraft zu ende. Sie wollte nicht mehr kämpfen. Sie wollte zu Aaron zurück und ich erlöste sie, als der Weg zu ihm für sie zu beschwerlich wurde. Damit brach auch für mich die Welt zusammen… aber ich durfte nicht aufgeben. Carlos brauchte mich jetzt, da er schon wieder einen wichtigen Bezugspartner verloren hatte, umso mehr.
„Es gab viele traurige Momente, aber auch viele sehr schöne.“
Seit Aarons Tod beschäftigte ich mich zunehmend mit dem Thema Tierbestattung. Und auch nach Kiras Abschied war es allgegenwärtig. So geschah es, dass ich herausfand, dass ein Tierbestattungsunternehmen einen Partner im Eichsfeld suchte. Ich dachte lange darüber nach, kam aber letztendlich zu dem Schluss, dass es nicht nur mir sondern auch allen anderen Tierbesitzern ein enormer Trost sein kann, eigene Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig Stärke und Mut zuzusprechen. So treue Begleiter haben einfach etwas Besseres verdient als ein Ende in der Tierkörperbeseitigungsanlage. Ich wollte es anders machen. Würdevoll. In tiefer Dankbarkeit und Liebe. Mit der Gründung einer eigenen Tierbestattung konnte ich all das für mich verwirklichen. So gründete ich mit ein wenig Erspartem mein eigenes, kleines Unternehmen. Seit dem konnte ich durch meine eigenen Erfahrungen vielen Tierhaltern Trost spenden, ja, es entwickelten sich sogar Freundschaften. Es gab viele traurige Momente, aber auch viele sehr schöne. Ich konnte Hunde und Katzen aus dem Tierschutz an trauernde Halter vermitteln. Auch bei vielen Anfragen verzweifelter Tierhalter konnte ich mit Rat und Tat zur Seite stehen und entsprechende Tierärzte empfehlen. So kam es, dass bereits aufgegebene Tiere noch eine zweite Chance bekommen haben und noch heute leben. Aber die Geschichte geht weiter.
„Ihre Augen leuchteten und schon waren sie eine Einheit.“
Carlos lebte sich langsam bei uns ein und schien sich allmählich von seinen Verlusten zu erholen. Trotzdem merkte ich, dass er einsam war. Er brauchte einfach einen Freund. Auf einer Tierschutzseite aus Griechenland sah ich dann Nemo. Ein wunderschöner Schäferhund-Mix und ein richtig süßer Kerl. Er lebte bei einer Frau, die sich um misshandelte Tiere kümmerte. Ich kontaktierte sie und nach wenigen Wochen kam sie mit Nemo zu uns. Wir besprachen vorher, dass ich Nemo nur nehmen könnte, wenn er und Carlos sich mochten. So etwas hatte ich noch nicht erlebt – die beiden sahen sich und es war Liebe auf den ersten Blick. Der kleine Nemo sah ihn an und auf einmal war Carlos Vater geworden. Ihre Augen leuchteten und schon waren sie eine Einheit. Sie spielten wie kleine Hunde, pflegten sich, lagen beieinander und waren nur noch zusammen. Doch auch dieses Glück durfte nicht lange anhalten… Nemo begann schlechter zu fressen, obwohl ich alles versucht habe. Wieder gingen wir zum Tierarzt. Der kleine Nemo hatte, seit er ein Welpe war, einen Zwerchfellriss. Seine Organe waren zusammengewachsen und engten sich gegenseitig ein. Nur eine schwierige OP konnte ihm noch helfen. Nach langem Zögern entschied ich mich dafür. Die OP verlief gut, doch in der Nacht darauf verstarb mein kleiner Grieche noch in der Tierklinik. Der Verlust schnürte mir die Kehle zu. Wieder hatten wir einen Freund verloren. Ich war am Ende… sollten wir denn gar kein Glück mehr haben dürfen? Carlos war nun wieder allein und ich wusste nicht, wie es weitergehen soll – aber das Schicksal geht manchmal seltsame Wege.
„Ganz selbstverständlich fügte sie sich in unser Leben ein und manchmal kommt es mir so vor, als ob Aaron wieder bei uns wäre.“
Ich erhielt abends einen Anruf. Eine Freundin sagte mir, dass eine Enkelin von Aaron im Tierheim in Fulda ist. Sie fragte, ob ich jemanden wüsste, der mit der ängstlichen Hündin zurecht käme und ihr helfen könne… mir war klar, dass ich sie brauchte wie sie mich. Am nächsten Tag fuhr ich nach Fulda zu Avala, wie sie hieß. Sie sah Carlos und verliebte sich in ihn. Sie ist zwar erwachsen, verhält sich aber so welpenhaft, dass er ihr nichts entgegensetzen konnte. Völlig überwältigt von der Energie der kleinen Avala nahmen wir sie sofort mit uns nach Hause. Es war, als ob sie schon immer dort gewohnt hätte. Ganz selbstverständlich fügte sie sich in unser Leben ein und manchmal kommt es mir so vor, als ob Aaron wieder bei uns wäre. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die man nicht erklären kann. Manchmal auch gar nicht verstehen. Aber ich bin davon überzeugt, dass alles im Leben seinen Sinn hat, auch wenn es manchmal sehr wehtut, bis man ihn gefunden hat.
„Avala heißt jetzt Ivy und sie lebt glücklich und zufrieden mit ihrem Carlos zusammen. Sie gibt mir für meine Arbeit sehr viel Kraft und ich hoffe, dass sie noch viele Jahre an meiner Seite ist.“
In Memoriam Aaron und Kira
In Memoriam Nemo